Donnerstag, 1. Dezember 2011

BLOG

Liebe Theaterfans,
unseren aktuellen Theater BLOG findet Ihr HIER.
In unserem Theater Blog haben Sie die Gelegenheit einen spannenden Blick hinter die Kulissen zu werfen und immer das Neuste zu erfahren. Das Theater Heilbronn hat drei Bühnen mit 1140 Plätzen. Zu sehen sind Schauspiel und Musical mit eigenem Ensemble, dazu Gastspiele in Oper, Operette und Tanz.

Samstag, 23. April 2011

Verabschiedung oder heute ist Premiere

6 Wochen Probenzeit
18 Blogeinträge
24 Tage in Heilbronn (seit Probenbeginn)
123 Tassen Kaffee (überschlagen)
12 Stück Kuchen (überschlagen)
49 Stunden Zugfahrt
16 digitale Exit Europa - Ordner
88 digitale Exit Europa – Dateien
1 Baustelle vor dem Fenster

und wie das Foto (unten) zeigt: 1 Bauarbeiter in luftiger Höhe. Ich frage mich, ob er aus seiner Perspektive mich umgekehrt an einem Schreibtisch arbeiten sieht. Oder sieht er eine Kupfer-Felsenbirne und dahinter ein Fenster? Was werden Sie sehen, wenn Sie heute oder an einem anderen Tag die Vorstellung „Exit Europa“ sehen? Es heißt, eine Theatervorstellung findet nicht nur auf der Bühne statt, sondern entsteht immer auch im Kopf der ZuschauerInnen, die das Bühnengeschehen auf verschiedene Weisen wahrnehmen und interpretieren. Und in diesem Sinne ist eine Theatervorstellung nicht zu Ende, wenn der Vorhang fällt, sondern sie geht weiter, wenn Sie sich gegenseitig erzählen und darüber austauschen, was sie gesehen haben. Das empfinde ich als einen sehr schönen Moment von Theater. Es gibt auf diese Weise nicht eine Inszenierung, sondern sehr viele Inszenierungen von „Exit Europa“. Und damit verabschiede ich mich aus diesem Blog und wünsche ich Ihnen, den SchauspielerInnen, dem Regisseur und den vielen weiteren MitarbeiterInnen an „Exit Europa“ und mir eine schöne Premiere. Toi Toi Toi.

Mittwoch, 20. April 2011

Stichwort Europa

Zu guter Letzt noch eine kleine Umfrage: Welche Stichworte kommen verschiedenen MitarbeiterInnen hier im Hause in den Sinn, wenn sie an Europa denken? Und welche Stichworte fallen Ihnen sofort ein? Eine Liste, die unendlich fortgeführt werden könnte:

Kultur (Christian Marten-Molnár, Dramaturg)
blau (Birte Werner, Dramaturgin)
blau (Tom Musch, Bühnenbildner)
Zeus (Axel Vornam, Intendant, Regisseur)
Exit Europa (Markus Rack, Hausinspektion)
Exit Europa (Katrin Schröder, Referentin für Marketing)
Uns geht’s so gut (Silke Zschäckel, Pressereferentin)
Flagge mit den Sternchen (Petra Ostermann, Souffleuse)
Wenn das mal gut geht (Sabine Unger, Schauspielerin)
Ich habe Bilder im Kopf und keine Worte (Stefan Eichberg, Schauspieler)
Ich sehe die Karte, den Umriss (Vera Högemann, künstlerische Betriebsdirektorin)
Reisen (Ute Raab, Choreografin)
EU (Franko Freese, Koch Theaterkantine)
EU Carsten Bänfer (Leiter der Tonabteilung)
Verständigung (Julika van den Busch, Regieassistentin)
Wahl (Rainer Hartmann, Pforte)
Vereinigung (Karl Daubenthaler, Bühnenmeister)
Euro (Ralph Pinkert, Tontechniker)
Euro (Claudia Specht, Requisiteurin)
Europleite (Ingrid Richter-Wendel, Schauspielerin)
Imperium (Peter Schleder, Tontechniker)
Mittelmeer (Arianne Gambino, persönliche Referentin des Intendanten)
Auszeit (Maja Das Gupta, Theaterpädagogin und Dramaturgin)
...
...

Montag, 18. April 2011

Ausblick auf die Premiere

Bevor die Endprobenwoche richtig losgeht und auf die 1. Hauptprobe, 2. Hauptprobe und Generalprobe schließlich auch die Premiere folgt, noch eine kurze Zusammenfassung bzw. einen Ausblick auf weitere Texte, die in „Exit Europa“ eine Rolle spielen. Die Stückcollage beginnt, wie schon in einem anderen Eintrag erwähnt, mit der Französischen Revolution und dem ganz und gar nicht unblutigen Kampf um bürgerliche und demokratische Werte – und das anhand von Ausschnitten aus Georg Büchners Stück „Dantons Tod“, Büchners Briefen und Originalreden von Robespierre, Danton, Saint Just und Mirabeau. Im zweiten Teil wird mit Ausschnitten aus Ernst Tollers Stücken „Maschinenstürmer“ und „Masse Mensch“ der Blick auf die Industrialisierung gelenkt und auf die damit einhergehenden Ideale: technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum, die bis heute fortwirken. Dem folgt die Szene „Mann im Fahrstuhl“ aus Heiner Müllers Stück „Der Auftrag“, die den kleinen Angestellten unverhofft auf einer Dorfstraße in Peru zurücklässt. Und so sind wir mittendrin in „Problema“, einem Film von Ralf Schmerberg über die vielen Fragen angesichts einer globalen Krisenlage, auf die es nicht die eine richtige Antwort zu geben scheint. Leonce aus Georg Büchners Stück „Leonce und Lena“ ist dieser Fragen und Sorgen längst überdrüssig. „Was wollen Sie von mir“, fragt er provokativ in die Runde und zieht sich auf einen weltvergessenen Genuss der Gegenwart zurück. Das scheint dem Engel der Geschichte, den Walter Benjamin anhand des Aquarells „Angelus Novus“ von Paul Klee beschreibt, verwehrt. Der Sturm des Forschritts treibt ihn unaufhörlich in die Zukunft, während sein entsetzter Blick auf die Trümmer der Vergangenheit gerichtet bleibt. Aber ist sie denn überhaupt berechtigt – die Sorge um die eigene und gesellschaftliche Zukunft? Es wird ein Tag in Heilbronn dokumentiert, mit Hilfe von Tagesprotokollen Heilbronner Bürger und Bürgerinnen. Und Kathrin Röggla untersucht in ihrem wunderbaren Stück „draußen tobt die dunkelziffer“ humorvoll den aussterbenden Mittelstand und das Wesen von Kreditblasen. Nicht nur der Mittelstand stirbt, die ganze gesellschaftliche Ordnung, wie wir sie kennen, liegt im Sterben, meint das Unsichtbare Komitee in seinem Manifest „Der kommende Aufstand“ und ruft dazu auf, dieses Ende gewaltsam zu beschleunigen. Schließlich bleiben nur drei Narren zurück – mit Büchners („Dantons Tod“) und Tollers („Hinkemann“) Zweifeln und Fragen an der/die Grundverfasstheit des Menschen.

Mittwoch, 13. April 2011

Zurück zum Text und zu den verflixten Idealen

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Die heilige Dreieinigkeit aller revolutionären Brüllaffen“, schreibt Herbert Müller-Guttenbrum in seinem „Alphabet des anarchistischen Amateurs“. Ich kann dieser Ironie durchaus viel abgewinnen, denn wenn man mal ehrlich ist: diese Ideale sind doch immer schneller ausgesprochen als gelebt. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – wollen Sie das, will ich das wirklich? Und zwar in einem umfassenden Sinne - das heißt, es würde hier nicht nur um die eigene Freiheit, sondern auch um die Freiheit der anderen gehen. Fühlen Sie sich gleich mit jedermann und jederfrau und wenn nicht: Würden Sie sich überhaupt gleich fühlen wollen? Jetzt werden vielleicht einige einwenden: Naja, gleich und gleichberechtigt – das sind zwei verschiedene Dinge – und das stimmt ja auch. Nur – reicht es aus, dass der Arme und der Reiche vor dem Gesetz gleich sind – oder schlägt ihr Herz insgeheim für eine gesellschaftliche Umverteilung? Im Alphabet des anarchistischen Amateurs steht: „Vor dem Gesetz sind alle gleich! Das klingt großartig. Aber so lange es Menschen gibt, die vor dem Leben nicht gleich sind, haben sie auch vor dem Gesetz nicht gleich zu sein. Und wenn ein Reicher stiehlt, so tut er nicht dasselbe wie ein Armer, der stiehlt.“
Und wie ist es um die Brüderlichkeit bestellt? Wollen Sie jedermanns/ jederfraus Bruder oder Schwester sein? Also sich auch mit denen solidarisieren, die Sie vielleicht nicht leiden können, denen es viel schlechter als Ihnen geht, und auch mit denen, die sich Ihrer Ansicht nach selbst vielleicht eher unbrüderlich verhalten? Oder glauben Sie gar, es gäbe keine Unbrüderlichkeit mehr, wenn erst einmal das mit der Gleichheit geklärt wäre? Viele Fragen, keine Antworten und zum Schluss noch ein Zitat von Herbert Müller-Guttenbrum: „Brüderlichkeit: Eine sagenhafte Sympathie, die man kaum noch zwischen Brüdern findet; geschweige denn zwischen fremden Menschen“.

Dienstag, 12. April 2011

Visuelles II

Heute noch einmal Fotos (zwei). Das eine zeigt die Decke des Zuschauersaales nach der Beleuchtungsprobe und das andere einen Teil der 29 Statisten von „Exit Europa“ bei der Arbeit. Apropos Arbeit: Neben den Proben arbeiten sie u.a. noch als Lehrerin, Kosmetikerin, Verkäufer, Krankenschwester, Geschäftsinhaber, Grafikdesignerin, im Haus und Garten und vielen Bereichen mehr...


Statisten bei der Arbeit
Decke des Zuschauersaals

Freitag, 8. April 2011

Visuelles I

Nachdem meine letzten Blogeinträge so textlastig daherkamen, werde ich nun die nächsten zwei Einträge lang ein paar visuelle Probeneindrücke vermitteln. Wobei ich anmerken muss, dass beim Fotografieren natürlich darauf geachtet wurde, nicht zu viel zu verraten. Damit geht ein gewisser Suchbild- oder Rätselbildeffekt einher – aber wie sagt man so schön: im Leben braucht's auch ein paar Geheimnisse...



Ein Schauspieler lernt den Text
Ein Dramaturg kürzt im Text
Musik ist dabei 


Viele Statisten ebenfalls  
Und das Ganze hat mit Europa zu tun





Donnerstag, 7. April 2011

Der Kommende Aufstand

Mein Freund meinte gestern Abend am Telefon zu mir, er habe meine letzten Blogeinträge sehr gern gelesen, fände aber den Begriff des Rechtsstaates im Zusammenhang mit der Kohlhaasgeschichte etwas irritierend. Der Einwand ist im historischen Sinn nicht von der Hand zu weisen, schließlich spielt die Erzählung im 16. Jahrhundert, da gab es den Rechtsstaat, wie wir ihn heute kennen, noch nicht. Und doch geht Kohlhaas am Anfang der Geschichte davon aus, dass der Staat bzw. das Gesetz ihm Gerechtigkeit verschaffen und sein Eigentum schützen werde.
Davon gehen die Autoren des „Kommenden Aufstandes“ längst nicht mehr aus – weder empfinden sie den Staat als gerecht (sie meinen die europäischen Rechtsstaaten in der heutigen Form), noch halten sie viel vom Eigentum bzw. dem kapitalistischen Wirtschaftsystem. Am Anfang ihres Manifestes heißt es: „Aus welcher Sicht man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ohne Ausweg. (...) Denjenigen, die unbedingt hoffen möchten, raubt sie jeden Halt. Diejenigen, die vorgeben Lösungen zu haben, werden sofort entkräftet. Es ist bekannt, dass alles nur noch schlimmer werden kann.“ Der Staat hat in ihrer Analyse jede positive Zuschreibung verloren. Politiker agieren nur noch als „Hampelmänner“, die von Marketingabteilungen durchchoreografiert werden, die Institutionen des Staates (von der Schule, über das Arbeitsamt bis hin zum Polizeiapparat) sind Instrumente der Disziplinierung und Unterwerfung, sie schüren soziale Ungerechtigkeiten und entfremden in ihrer wirtschaftslobbyistischen Verklärung der flexiblen Arbeitswelt das Individuum von Heimat und seinen Mitmenschen. Und darüber hinaus - sobald es zu Unruhen und Demonstrationen wie in Frankreich oder Griechenland kommt, zeigt der Staat ein äußerst gewaltbereites Gesicht.
Das Manifest erschien zuerst 2007 in französischer Sprache, in den letzten zwei Jahren wurde es in verschiedene Sprachen übersetzt und fand zunächst über das Internet große Verbreitung. Inzwischen ist es auch in vielen Buchhandlungen zu finden. Die deutsche Ausgabe, die im Herbst 2010 erschien, wurde in sämtlichen Feuilletons rezensiert, die meisten Kritiker besprachen es als treffende Analyse eines gesellschaftlichen Unbehagens. Nur wenige Kritiker gingen auf die radikalen Schlussfolgerungen und die antidemokratische Haltung ein, die für die Autoren aus der Analyse folgen. „Man hat sich unserer Eltern bedient, um diese Welt zu zerstören, nun möchte man uns an ihrem Wiederaufbau arbeiten lassen, und der soll noch dazu profitabel sein. (...) Wir werden uns nicht von denen berauben lassen, die die Krise verursacht haben. Das "Ende der Zivilisation" geschehe! Auf dass wir früher als erwartet an die Grenzen der Ölreserven gelangen, auf dass wir einer großen sozialen Unordnung entgegengehen.“
Was passiert, wenn der Staat zunehmend als ungerecht und das Wirtschaftssystem als Form der Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur empfunden werden? Was passiert, wenn demokratische Werte nicht mehr glaubwürdig sind? Das „Unsichtbare Komitee“ spricht von einem Aufstand, von einem Krieg der Jugend gegen den Staatsapparat und die Vorstandsetagen. Demokratischen Entscheidungsprozessen können die Autoren nichts abgewinnen. Das ist beunruhigend. Aber auch die vielen positiven Reaktionen auf das Manifest und die Fragen, die damit einhergehen, sind beunruhigend. Und deshalb haben wir Teile aus dem „Kommenden Aufstand“ in die Textfassung genommen. In der Hoffnung, dass der Aufruf zur Zerstörung des bestehenden Gesellschaftssystems für alle Demokratiebefürworter im Publikum alarmierend wirkt und sie sich umso mehr für Reformen engagieren, die nicht im lateinischen Sinn auf die „Wiederherstellung alter Zustände“ abzielen, sondern auf eine gewaltlose Umgestaltung ungerechter Verhältnisse. Das mag in manchen Ohren nach einem äußerst naiven Handlungsoptimismus klingen, aber sei es drum.

Mittwoch, 6. April 2011

Heiligt der Zweck jedes Mittel?

Vor zwei Wochen habe ich in einem Zimmertheater in Berlin (Theater am Schlachthof) eine wunderbare Inszenierung von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ gesehen. Mit Hilfe eines Schauspielers, einer Handvoll Puppen, einer kleinen verstaubten Landkarte und mit den Zuschauern als Statisten wurde der Ausbruch eines vormals rechtschaffenden Bürgers aus den gesellschaftlichen Verabredungen vorgeführt. „Aufstand eines Anständigen“ heißt die Inszenierung (Henrike Kochta/ Eckhard Greiner) im Untertitel. Und tatsächlich hält der Pferdehändler Kohlhaas anfangs sehr viel von dem Rechtsstaat, in dem er lebt. Doch als ihm ein Junker Unrecht antut und alle Bemühungen Kohlhaas, auf legalem bzw. juristischem Wege Gerechtigkeit zu erlangen, an Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft scheitern, nimmt er das Gesetz selbst in die Hand. Er zieht in den Kampf gegen den Junker, brennt in seinem Rachefeldzug Burgen und Häuser nieder, tötet die Bewohner, wer nicht für ihn ist, wird zum Feind. „Hatte er wirklich nur diese beiden Möglichkeiten“, fragt das Programmheft der Inszenierung: „Ein stiller Erdulder des Unrechts zu werden oder ein Terrorist?“
Ich bin ja eigentlich eine Verfechterin der Gewaltfreiheit und das bringt mich oft in arge Dilemmata. Denn wie geht man mit Unrecht bzw. mit Gewaltzuständen um, die man scheinbar nicht ohne Gewalt beenden oder verändern kann? Ist die pazifistische Haltung dann eine passive oder gar verantwortungslose Haltung? „Ich seufze, ich beweine das Schicksal so vieler unglücklicher Opfer, aber wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehenbleibt, leistet Widerstand, als trät er ihr entgegen“, sagt Camille in „Exit Europa“ und heiligt damit ebenfalls die Gewalt als Mittel zum Zweck (hier der Französischen Revolution). „Sind wir denn nicht in einem ewigen Gewaltzustand?“, fragt er weiter und an einer anderen Stelle in unserer Textfassung heißt es: „Wenn das Dasein der Mehrheit so beschwerlich ist, dass sie es nicht mehr aushalten kann, dann bricht der Aufstand der Bedrückten gegen die Bedrücker los“.
Kann man überhaupt friedlich gegen einen Gewaltzustand aufbegehren? Es ist ja nicht so, dass die Vertreter der alten Ordnung angesichts eines Aufstandes sagen würden: Okay Leute, wir haben es verstanden, die Mehrheit möchte also die bisherige politische Ordnung nicht mehr, dann treten wir mal geschwind zurück und belassen euch auch noch die Staatskasse. Stattdessen wird in der Regel die Armee ins Feld geschickt, um die Aufständigen niederzuschießen oder wenigstens niederzuhalten. Und manchmal gehen sich die Revolutionäre auch gegenseitig an den Kragen: Camille wird 1794, mit gerade mal 34 Jahren, geköpft und seine 23jährige Frau, welche die Hinrichtung öffentlich anprangert, wird einige Tage später ebenfalls aufs Schafott gebracht. Die Autoren des „Kommenden Aufstandes“, dem Manifest aus Frankreich, das ich letzte Woche erwähnt habe, halten den Pazifismus übrigens für die Theoretisierung einer Ohmacht. Wurde mit der französischen Revolution die bürgerliche Gesellschaft und unsere heutige Form der Demokratie auf den Weg gebracht, plädieren sie nun für deren umfassende Zerstörung. Die Demokratie sei eine Form der politischen Anästhesie und der Verwaltung von Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. „Es wird keinen friedlichen Aufstand geben“, schreiben sie. Das klingt fast wie die Devise eines Michael Kohlhaas: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Aber mehr dazu morgen.

PS: Liebe Hausinspektion: Herzlichen Dank für das Kupfer-Felsenbirnen-Marmeladenrezept, ich bin sehr dafür, es auszuprobieren, der Christian Marten-Molnár hat zwar Bedenken wegen der Abgase geäußert (der Baum liegt ja nunmal an einer großen Verkehrsstraße), aber ich denke, die Himbeeren im Rezept gleichen das vielleicht wieder aus. Und wir leben ja nunmal mit Verkehrstraßen und Autos und so. Muss das so sein? Demnächst komme ich jedenfalls mal auf einen Kennenlernkaffee vorbei.

Freitag, 1. April 2011

Die Kupfer-Felsenbirne

Kaum habe ich das Foto eines namenlosen Baumes ins Netz gestellt, kommt auch schon ein Kommentar. Von der Abteilung „Hausinspektion“ des Theaters. Die  Mitarbeiter der Abteilung achten darauf, dass im Haus alles funktioniert – vom Fenster bis zur Heizung, erklärt mir Katrin Schröder, die Referentin für Marketing. Außerdem kennen sie sich anscheinend mit Bäumen aus und lesen meinen Blog. Das freut mich sehr. Es ist also eine Kupfer-Felsenbirne, schreiben sie. Da steige ich doch gleich drauf ein und schaue im Internet nach weiteren Informationen. In Norddeutschland wird der Baum auch Korinthenbaum genannt, ursprünglich kommt er aus Nordamerika. Die Botanik ist eine Ansammlung von schönen Namen – schon deshalb lohnt sich eine Beschäftigung damit. Bei Wikipedia steht weiter, dass die Früchte der Kupfer-Felsenbirne ungiftig und wohlschmeckend sind. Sollten da also im Herbst wirklich Birnen vor dem Dramaturgiebüro hängen und Christian Marten-Molnár hat sie noch nicht bemerkt? Aber nein, lese ich weiter, die kugeligen Früchte werden vor allem von Vögeln - z. B. von Drosseln, Staren oder Tauben gefressen – und doch – es wird abermals erwähnt, dass sie angenehm süß schmecken. Liebe Hausinspektion, ich bin verwirrt, kann man diese Früchte nun als menschliches Wesen ebenfalls essen oder sind sie den Vögeln vorbehalten?
Ich weiß, dieser Ausflug in die Pflanzenkunde hat jetzt nicht wirklich etwas mit „Exit Europa“ zu tun, deshalb sei diesem Eintrag noch ein Zitat von Jacob Grimm beigefügt, aus seinem Vortrag: „Über den Ursprung der Sprache“ von 1851 (zitiert nach der insel-taschenbuchausgabe 1985). „Wenn bienen ausgeflogen sind um honigstoff einzuholen und sich auf eine heide niederlassen, von welcher sie immer zu rechter zeit und sicher den heimweg nach ihrem stock nicht verfehlen; mag es einzelne unter dem schwarm geben, die sich ein paar hundert schritte abwärts verfliegen und in der irre zugrunde gehn: ihnen ist die kleine freiheit verderblich geworden.“ Die Freiheit ist ihnen verderblich geworden – da denke ich doch nicht nur an Bienen, sondern gleich auch an Robespierre, St. Just, Danton, Camille – und die Guillotine der französischen Revolution. Womit wir wieder beim Thema wären, das für die nächste Woche lautet: „Der Kleinmut der Reformer oder das Blutbad der Revolutionen.“ Klingt zu groß? Ist es auch. Mir wächst das Thema jedenfalls regelmäßig über den Kopf. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet: Heiligt der (idealistische) Zweck die/jedes Mittel? U.a. wird dann auch ein weiterer Auszug aus der Textfassung vorgestellt: „Der kommende Aufstand“, ein politisches Manifest aus Frankreich, geschrieben von einem „unsichtbaren Komitee“. Und dann muss ich irgendwann auch noch von der Freiheit zur Gleichheit und von der Gleichheit zur Brüderlichkeit überleiten. Aber es sind ja auch noch 23 Tage bis zur Premiere. Jetzt erstmal allen LeserInnen und mir  (und insbesondere der Hausinspektion) ein schönes Wochenende.

Mittwoch, 30. März 2011

Frühling

Heute nur ein ganz kurzer Eintrag, die Szene „Ein Tag in Heilbronn“ muss noch fertig werden. Die Zeit rennt und der Frühling ist da – man braucht nur aus dem Fenster des Dramaturgenbüros schauen. Christian Marten-Molnár weiß auch nicht, was das für ein Baum ist. (Siehe Foto) Nach „Exit Europa“ werde ich mich der Pflanzenkunde widmen, so geht es nicht weiter!

Baum vor Christian Marten-Molnárs Büro

Dienstag, 29. März 2011

Ein Tag in Heilbronn

00:00 Uhr: zurück ins Hotel, Nachrichten im Fernsehen, Frau Merkel im Interview über die Landtagswahlen
01:00 Uhr: Zähne putzen
02:00 Uhr: schlafen
03:00 Uhr: schlafen
04:00 Uhr: schlafen
05:00 Uhr: schlafen
06.00 Uhr: schlafen
besondere Vorkommnisse: mein Handywecker klingelt – habe vergessen die gestrige Weckzeit auszuschalten bzw. umzustellen, drehe mich noch mal um
07.00 Uhr: schlafen
08.00 Uhr: Handywecker klingelt erneut, aufstehen, duschen, Zähne putzen, anziehen, Sachen für den Tag einpacken, Brille nicht vergessen
09.00 Uhr: runter in den Frühstücksraum des Hotels, Ei, Brötchen und Kaffee. Orangensaft. Zeitung.
09.45 Uhr: Christian Marten-Molnár am Theater abholen, er hatte schon Sitzung
10.00 – 14.00 Uhr: Probe „Exit Europa“ in der Probebühne, die Fahrstuhlszene aus Heiner Müllers „Auftrag“ wird geprobt, außerdem die Textauszüge aus Kathrin Röggla: „Draußen tobt die Dunkelziffer“. Obwohl ich Rögglas Text schon so oft gelesen habe, fällt mir beim Zuhören einmal mehr auf, wie klug und witzig er gebaut ist.
Besondere Vorkommnisse: Einigen Schauspielern fällt wiederum auf, dass die beiden Dramaturgen über einen Vorrat an wirklich guten Bonbons verfügen.
14.00 Uhr: kurzes Mittagessen in der Kantine, der Kaffee wird mit hoch ins Büro genommen
14.30 Uhr – 19.00 Uhr: Katrin Schröder, die Referentin für Marketing am Theater Heilbronn übergibt mir all die „Ein Tag in Heilbronn“-Protokolle, die im Verlauf der letzten Woche hier angekommen sind. Ich übertrage das gesamte Material in eine Worddatei und bin von den Texten begeistert. Man merkt sofort, dass sie wunderbar funktionieren, bereits die protokollarische Form erzeugt einen eigenen, fast lyrischen Klang. Schön! Vielen Dank an alle, die für uns ihren Tag in Heilbronn dokumentiert haben.
Besondere Vorkommnisse: Christian und ich teilen uns zwischendurch eine wirklich gute Rhabarberstreuselschnecke. Und Katrin Schröder bringt uns einen Kaffee vorbei. Nett, sehr nett.
19.00 Uhr: Ich beschließe, noch schnell einen Eintrag im Blog zu schreiben, vielleicht sollte ich heute mal meinen eigenen Tag dokumentieren, so kann ich mich gleich für die eingegangenen Protokolle bedanken – habe den Schauspielern heut nachmittag schon davon vorgeschwärmt.
20.00 – 22.00 Uhr: Probe „Exit Europa“ – es wird die zweite Szene geprobt, darin u.a. Texte aus Ernst Tollers „Maschinenstürmer“. Ich werde ein paar Fotos machen und diese als Probeneindrücke demnächst in den Blog stellen. (in den oder auf den Blog?)
22.00 Uhr: wahrscheinlich Nachbesprechung mit Axel Vornam, wenn nicht, vielleicht noch ein kleines Alster trinken gehen, das sich hier, wie man mir gestern sagte, Radler nennt
23.00 Uhr: Rückkehr ins Hotel, Freund in Berlin anrufen
24.00 Uhr: Zähne putzen, Nachrichten schauen, schlafen gehen

Samstag, 26. März 2011

„Problema“ - Ein Film von Ralf Schmerberg

2003 initiierte der Filmregisseur Ralf Schmerberg als eine Reaktion auf den Irakkrieg das Projekt „Dropping Knowlege“ – eine offene Internetplattform, auf der wichtige Fragen und Probleme des 21. Jahrhunderts zusammengetragen werden sollten. 2006 ging daraus der „Table of Free Voice“ hervor, ein großer runder Tisch auf dem Berliner Bebelplatz, an dem 112 Künstler, Wirtschaftswissenschaftler, Menschenrechtler, Naturwissenschaftler usw. aus verschiedenen Ländern der Welt versuchten, 100 dieser Fragen und Probleme zu beantworten. „Welches ist das wichtigste aktuelle Geschehen, über das nirgends berichtet wird?“ / „Sollten wir das Recht haben, frei wählen zu können, wo wir wohnen möchten?“ / „Was bedeutet Mut heutzutage?“ / „Wie können wir unsere Regierungen davon abhalten, Krieg zu führen?“ Jeder einzelne Versuch einer Antwort wurde per Videokamera aufgezeichnet. Insgesamt wurden also 11200 Antworten auf 100 Fragen dokumentiert. Es sei wichtig, dass man die Fragen stelle, selbst wenn es nicht die eine richtige Antwort gibt, meint Ralf Schmerberg in einem Interview mit dem Tip über seinen 2010 fertiggestellten Film „Problema“ (www.tip-berlin.de/kino-und-film/ralf-schmerberg-uber-den-film-problema). In seinem Film werden ein Teil der Fragen und Antworten aus dem „Table of Free Voice“ von 2006 vorgestellt und mit einer Fülle an zeitgeschichtlichem Filmmaterial verknüpft. Vier Jahre hat Schmerberg an dem Film gearbeitet, ihn auch selbst finanziert und nun zum kostenfreien Download ins Netz gestellt (www.problema-thefilm.org). Als ich mir den Film aufgrund des Hinweises einer Freundin vor ein paar Monaten anschaute, war ich sehr beeindruckt. Beeindruckt und berührt zugleich. Die Fragen überfordern, der Blick auf so viele globale Konflikte überfordert, binnen weniger Minuten scheint man aus seiner kleinen, lokalen Welt des Alltags herausgerissen. Und natürlich gibt es nicht die eine Antwort. Aber 112 Menschen. Und schon allein die Tatsache, dass diese Menschen sich sichtlich um eine jeweils eigene Antwort bemühen, dass sie sich um ein Sprechen, um eine Haltung zu den Fragen bemühen, macht seltsamerweise auch Mut. Mut, daran zu glauben, dass Strukturen veränderbar sind, dass ein Miteinandersprechen sinnvoll ist. Mut dafür, bestimmte Fragen zu stellen, auch wenn sie angesichts globaler Problemlagen und den „berühmt berüchtigten Sachzwängen“ schon fast naiv oder vergeblich scheinen. Und weil der Film überfordert und zugleich Mut macht – werden wir einen Teil daraus auch in „Exit Europa“ zeigen – die Haustür also Richtung Welt öffnen, der Überforderung ins Auge schauen und uns selbst in diese mühsame Suche nach Antworten und nach je eigenen Handlungsmöglichkeiten mit einbeziehen.

Donnerstag, 24. März 2011

Telefonat mit meinem Kollegen Christian Marten-Mólnar

Peggy: Sollten wir in dem Blog tatsächlich schon verraten, welche Texte in „Exit Europa“ verwendet werden?
Christian: Ja, klar. Warum denn nicht?
Peggy: Nimmt man da nicht eine Spannung weg?
Christian: Finde ich nicht. Die Spannung besteht ja nicht darin, dass man rumrätselt, welche Texte verwendet werden, sondern darin, dass man in der Inszenierung dann sehen kann, wie sie verwendet werden. Und du sollst ja mit dem Blog neugierig auf den Abend machen. Ich würde an deiner Stelle auch den „Kommenden Aufstand“ schon erwähnen bzw. darüber schreiben, dass wir Teile aus dem Manifest verwenden und warum.
Peggy: Und über den Film „Problema“ schreibe ich dann auch vorher schon?
Christian: Ja, mach das mal.

Mittwoch, 23. März 2011

Die Systemfrage

„Rettet die Wale und stürzt das System, trennt euren Müll, denn viel Mist ist nicht schön“, heißt es in einem Lied von Gustav. Hinter diesem Namen verbirgt sich die Wiener Musikerin Eva Jantschitsch. Ihr wunderbares und durchaus mit dem Augenzwinkern der Ironie versehenes Lied stellt einmal mehr die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen und der Vielen in den Raum. Rettet die Wale und stürzt das System... Bei Wikipedia steht, Systeme seien eine Gesamtheit von Elementen, die aufeinander bezogen sind und wechselwirken, d.h. Systeme organisieren und erhalten sich durch Strukturen. Ein System scheint also ein luftiges und gleichzeitig sehr wirksames und stabiles Gebilde zu sein. Vergleichbar vielleicht mit einem Magnetfeld, das man nicht sieht, das aber enorme Kräfte entwickelt. An der Universität habe ich vor allem jene Texte gelesen, in denen in Bezug auf Gesellschaftssysteme behauptet wird, es gäbe kein Außerhalb der Gesellschaft und der Geschichte, in der man lebt, es gäbe keine Insel und auch keinen Rand, wo man sich verstecken könnte, man sei immer mittendrin in diesem Geflecht aus Strukturen, immer ein Teil davon, selbst wenn man es kritisiere. Aus einer solchen Haltung oder Weltsicht heraus werden zu einfache und personalisierte Feindbilder (der böse Kapitalist oder der gierige Spekulant) schnell absurd, denn man kann zwar durchaus das System der Geldwirtschaft oder des Kapitalismus kritisieren, muss sich dabei dann aber auch eingestehen, dass man selbst daran beteiligt ist, dass das System der Geldwirtschaft durch einen selbst hindurchgeht, durch das eigene Bankkonto, auch durch meine Arbeit als Gastdramaturgin hier, für die ein Arbeitsvertrag aufgesetzt und eine Vergütung festgelegt wurde, mit der ich wiederum in Berlin meine Wohnung bezahle, meine Rentenversicherung (Aktienhandel!) sowieso und selbst noch meinen monatlichen Mitgliedsbeitrag bei Greenpeace. Das Dilemma an einer solchen Weltsicht ist also auch, dass man schwerlich zu einfachen Lösungen oder Antworten kommt, wenn alles immer mit allem in Beziehungen steht. Stattdessen stellen sich viele Fragen und mitunter sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Auch das wird ein Thema in „Exit Europa“ sein: Das Gefühl der Handlungsohnmacht zuweilen, das Gefühl der Überforderung, wenn man die Zeitung aufschlägt oder den Fernseher einschaltet und vor lauter Fragen und Problemen kaum noch Antworten sieht und die Sehnsucht ganz groß wird - nach einfachen Lösungen. Danach – die Wale retten zu können und zwar selbst und sofort.

Samstag, 19. März 2011

Nicht dass einer/eine denkt, hier wird ja doch jeden Tag geschrieben...

Wenn man einen Blog schreibt, sollte man einen Computer, einen Internetzugang und auch ein paar Ideen haben, was man erzählen will. In den letzten Tagen mangelte es an allem – denn ich war (ohne Computer im Gepäck) auf der Leipziger Buchmesse unterwegs. Und auch heute stellt sich für mich die Frage, wie ich einen Dreh von der Buchmesse zu „Exit Europa“ hinbekomme. Vielleicht so: 3sat hat gestern von der Messe aus eine „Kulturzeit extra“ – Sendung zum Thema Geld gemacht. Glauben Sie noch an den Kapitalismus?, wird da gefragt. In dem Beitrag wird einmal mehr auf die Finanzkrise, aber auch auf die aktuellen Katastrophenmeldungen aus Japan verwiesen. Immer wieder fällt der Begriff der Freiheit bzw. Unfreiheit im Zusammenhang mit dem System der Finanzökonomie. Welche Schäden bzw. Unfreiheiten bringt die (von zahlreichen Ökonomen und Politikern als notwendig beschworene) Freiheit der Märkte mit sich? Und damit sind wir direkt bei „Exit Europa“. In der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, einer der zentralen Texte der Französischen Revolution, heißt es im Artikel 4: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nicht schadet: Die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat also nur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß eben dieser Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden.“
Die Freiheit geht hier bereits mit einem gewissen Maß an Unfreiheit einher. Damit eine gerechte Verteilung von Freiheit gewährleistet werden kann, muss der Einzelne ein gewisses Maß an Unfreiheit in Kauf nehmen. Seine Freiheit endet da, wo sie einem anderen schadet bzw. dessen Rechte begrenzt. In Zeiten des globalen Wirtschaftens, wo es erst einer Recherche bedarf, um ein T-Shirt kaufen zu können, das nicht unter den Bedingungen von Kinderarbeit und Umweltverschmutzung produziert wurde, scheinen wir weit von diesem Artikel 4 entfernt. Müsste die Freiheit des Marktes also dringend politisch eingeschränkt werden und glauben Sie überhaupt noch an die Möglichkeit einer politischen Einflussnahme auf das ökonomische System? Und wie sieht es mit den eigenen Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf das ökonomische System aus – zum Beispiel als Konsument? „Geld ist eine Droge und ihr seid alle drauf“, heißt es in einem Song von Rocko Schamoni, der auch in der 3sat- Sendung angespielt wird. Im Grunde müsste es heißen: Geld ist eine Droge und wir sind alle drauf. Denn ohne Geld wäre ich nicht mit der Bahn nach Leipzig zur Buchmesse gekommen. Da hätte ich dem Schaffner noch so freundlich und idealistisch meine Bereitschaft zum Geldentzug auseinandersetzen können. Ohne Geld säße ich jetzt auch nicht an jenem Computer, von dem aus ich diesen Blogeintrag gleich ins Netz stellen werde. Und damit sind wir bei der Systemfrage angelangt – aber die wird erst nächste Woche weiterverfolgt.

Mittwoch, 16. März 2011

Doch noch eine Vorrede: Am Anfang war die Idee

Vor etwa einem Jahr bekam ich einen Anruf von Axel Vornam und Christian Marten-Molnár. Sie meinten damals zu mir: Sie hätten da so eine Idee. Im Verlauf des Telefonates fielen Stichworte wie: Französische Revolution, Aufklärung/ Aufbruchsstimmung/ Konstitution der bürgerlichen Gesellschaft (Christian Marten-Molnár)/ Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit/ heutige Glaubwürdigkeit dieser Ideale überprüfen/ Wachstum, technischer Fortschritt/ Rolle von Staat, Wirtschaft, Kapital hinterfragen/ auf jeden Fall Georg Büchner, Heiner Müller und die Guillotine mit reinnehmen (Axel Vornam)/ die Globalisierung sowieso/ den Wandel der Arbeitswelt (schon wieder? Nachfrage Peggy Mädler) thematisieren/ über Politikverdrossenheit und soziale Ungerechtigkeiten sprechen/ die Zukunftsaussichten unserer Gesellschaft/ der Demokratie diskutieren/ Europa nicht vergessen.
Ich behaupte jetzt mal ganz verwegen, die meisten Dramaturgen mögen solche Ideen. Auch oder gerade weil es erst einmal noch keinen „fertigen“ Text gibt. Sie stehen dann grübelnd vor ihren Bücherregalen, sie kramen in ihren Köpfen und Unterlagen, befragen Freunde und Kollegen nach aktueller Literatur/ Filmen, die zu den Stichpunkten passen – und tragen jede Menge Material zusammen. Und dann wird mit dem Regisseur diskutiert, sortiert, gekürzt und umgestellt – und schließlich wieder diskutiert, sortiert, gekürzt und umgestellt – und so weiter - und irgendwann entsteht aus sehr vielen Stichworten und Ideen ein roter Faden und aus sehr verschiedenem Textmaterial eine Textfassung. Über die Texte/Autoren, dank derer es jetzt eine Textfassung samt rotem Faden gibt, werde ich ein andermal ausführlich schreiben. Jetzt soll erstmal ein kleines technisches Wunderwerk erwähnt werden: der Drucker in der Dramaturgieabteilung. Der kann nämlich eine Textfassung nicht nur einfach, sondern beiseitig ausdrucken, und darüber hinaus auch noch binden bzw. klammern – so dass das Ganze, das mal eine lose Idee mit vielen Stichworten war, inzwischen wie ein richtiges Textbuch aussieht. (vor 20 Jahren haben Dramaturgen mit Schere, Kleber und Blaupapier (Kohlepapier) gearbeitet – hab ich mir sagen lassen)
 

Dienstag, 15. März 2011

Ab jetzt ohne weitere Vorrede – wird das durchzuhalten sein?

Gestern abend, um 19.oo Uhr fand die Konzeptionsprobe von „Exit Europa“ statt. In einer Konzeptionsprobe teilen der Regisseur (diesmal Axel Vornam), der Dramaturg (diesmal zwei: Christian Marten-Molnár und Peggy Mädler), der Bühnenbildner (diesmal Tom Musch) und der musikalische Leiter (diesmal Alexander Suckel) den beteiligten Schauspielern und den verschiedenen Gewerken (von Schneiderei bis Technik) ihre Vorüberlegungen in Bezug auf das jeweilige Stück mit. Auf Konzeptionsproben wird also nicht geprobt, sondern die ganze Zeit geredet. Das finden die einen sehr gut und die anderen nicht ganz so gut. Die, die es sehr gut finden, denken, dass so eine Konzeptionsprobe ein schöner, gemeinsamer Auftakt für die kommende Probenzeit sei. Ganz meine Meinung. Ich finde sogar, man könnte dabei oder anschließend gleich noch zusammen tafeln – d.h. jeder bringt einen Nudelsalat oder eine Schüssel selbstgemachter Beafsteaks mit. Aber die meisten Regisseure finden Konzeptionsproben zwar auch gut, sind aber gleichzeitig der Meinung: Erst käme die Arbeit – dann das Vergnügen. Deshalb gibt es Premierenfeiern. Und davon sind wir noch genau 40 Tage weit entfernt.

PS: WERBUNG IN EIGENER SACHE
Wie sieht ein typischer Tag von Ihnen in Heilbronn aus? In den letzten Tagen haben wir ein Formular entworfen, das ab heute auf der Homepage des Theaters (www.theater-heilbronn.de) zu finden ist. Christian Marten-Molnár und ich (und darüber hinaus viele andere Kollegen) würden sich freuen, wenn Sie mit Hilfe dieses Formulars einen ihrer Tage für uns protokollieren (anonym natürlich). Die Aktion startet heute (15. März) und geht bis zum 24. März, danach werden Christian Marten-Molnár und ich aus den eingegangenen Antworten den Text für die sechste Szene von „Exit Europa“ montieren. In allen Textbüchern, also auch in denen der Schauspieler, ist die Stelle im Moment noch offen – wir sind also sehr gespannt, was für ein Text mit Ihrer Hilfe schließlich dort entstehen wird.

Montag, 14. März 2011

Am Anfang war das Wort oder die Erklärung

Am Anfang eines Blogs – das hab ich mir von anderen Bloggern abgeschaut – sollte man kurz auf folgende Eckpunkte eingehen:
A-   was es für ein Blog ist bzw. werden soll (Thema, Herangehensweise usw.)
B-   wer den Blog schreibt (um die Perspektive zu klären)
C-   warum man das überhaupt macht und wie lange/ wie oft.

Der erste Teil von C ist einfach zu klären: Der Intendant dieses Theaters, Axel Vornam, hat mich gebeten, während der Probenzeit an dem neuen Stück „Exit Europa“ einen Blog zu schreiben, um auf diese Weise bereits im Vorfeld Interesse beim Heilbronner Publikum zu wecken. Und damit sind wir auch schon bei Punkt A angelangt –  das Thema wird also das Stück „Exit Europa“ sein, das am 23. April in diesem Haus Premiere hat. Und weil (siehe B) eine Dramaturgin diesen Blog schreibt, wird es hier vor dramaturgischen Informationen, Einblicken in Probenprozesse und Überlegungen zu den Werten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – die in „Exit Europa“ eine wichtige Rolle spielen – nur so wimmeln. Bei „Exit Europa“ gibt es gleich zwei Dramaturgen und das ist eine sehr besondere und auch luxeriöse Situation. Man hat jemanden, den man anrufen kann, wenn man an einer Stelle im Textbuch nicht recht weiter weiß, man kann sich auf den Proben gegenseitig Bonbons zuschieben und hockt nicht so allein an seinem Schreibtisch herum. Der andere Dramaturg im Bunde – Christian Marten-Molnár – hat mir sogar versprochen, ab und an bei diesem Blog als Gastschreiber aufzutreten. Aus diesem Versprechen wird er auch nicht mehr entlassen. Und apropos Dramaturgie: Es heißt, wenn Dramaturgen witzig werden, versteht kein anderer außer ihnen den Witz. Das halte ich zwar für ein Vorurteil, andererseits sagt man aber auch, in jedem Klischee stecke ein Körnchen Wahrheit. Ich werde also gar nicht erst versuchen, eine besonders witzige Bloggerin zu sein. Weiterhin heißt es, Dramaturgen arbeiten sehr gern und außerdem sehr viel. Dieses Vorurteil verbreite ich selbst seit Jahren (siehe: Beweisfoto Schreibtisch) – aber weil man auch hier das Körnchen Wahrheit nicht gleich zum Berg aufrollen muss, wird an dem Blog (siehe: zweiter Teil C) zwar kontinuierlich bis zur Premiere am 23.4., aber sicherlich nicht jeden Tag und schon gar nicht sonntags geschrieben.