Mittwoch, 6. April 2011

Heiligt der Zweck jedes Mittel?

Vor zwei Wochen habe ich in einem Zimmertheater in Berlin (Theater am Schlachthof) eine wunderbare Inszenierung von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ gesehen. Mit Hilfe eines Schauspielers, einer Handvoll Puppen, einer kleinen verstaubten Landkarte und mit den Zuschauern als Statisten wurde der Ausbruch eines vormals rechtschaffenden Bürgers aus den gesellschaftlichen Verabredungen vorgeführt. „Aufstand eines Anständigen“ heißt die Inszenierung (Henrike Kochta/ Eckhard Greiner) im Untertitel. Und tatsächlich hält der Pferdehändler Kohlhaas anfangs sehr viel von dem Rechtsstaat, in dem er lebt. Doch als ihm ein Junker Unrecht antut und alle Bemühungen Kohlhaas, auf legalem bzw. juristischem Wege Gerechtigkeit zu erlangen, an Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft scheitern, nimmt er das Gesetz selbst in die Hand. Er zieht in den Kampf gegen den Junker, brennt in seinem Rachefeldzug Burgen und Häuser nieder, tötet die Bewohner, wer nicht für ihn ist, wird zum Feind. „Hatte er wirklich nur diese beiden Möglichkeiten“, fragt das Programmheft der Inszenierung: „Ein stiller Erdulder des Unrechts zu werden oder ein Terrorist?“
Ich bin ja eigentlich eine Verfechterin der Gewaltfreiheit und das bringt mich oft in arge Dilemmata. Denn wie geht man mit Unrecht bzw. mit Gewaltzuständen um, die man scheinbar nicht ohne Gewalt beenden oder verändern kann? Ist die pazifistische Haltung dann eine passive oder gar verantwortungslose Haltung? „Ich seufze, ich beweine das Schicksal so vieler unglücklicher Opfer, aber wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehenbleibt, leistet Widerstand, als trät er ihr entgegen“, sagt Camille in „Exit Europa“ und heiligt damit ebenfalls die Gewalt als Mittel zum Zweck (hier der Französischen Revolution). „Sind wir denn nicht in einem ewigen Gewaltzustand?“, fragt er weiter und an einer anderen Stelle in unserer Textfassung heißt es: „Wenn das Dasein der Mehrheit so beschwerlich ist, dass sie es nicht mehr aushalten kann, dann bricht der Aufstand der Bedrückten gegen die Bedrücker los“.
Kann man überhaupt friedlich gegen einen Gewaltzustand aufbegehren? Es ist ja nicht so, dass die Vertreter der alten Ordnung angesichts eines Aufstandes sagen würden: Okay Leute, wir haben es verstanden, die Mehrheit möchte also die bisherige politische Ordnung nicht mehr, dann treten wir mal geschwind zurück und belassen euch auch noch die Staatskasse. Stattdessen wird in der Regel die Armee ins Feld geschickt, um die Aufständigen niederzuschießen oder wenigstens niederzuhalten. Und manchmal gehen sich die Revolutionäre auch gegenseitig an den Kragen: Camille wird 1794, mit gerade mal 34 Jahren, geköpft und seine 23jährige Frau, welche die Hinrichtung öffentlich anprangert, wird einige Tage später ebenfalls aufs Schafott gebracht. Die Autoren des „Kommenden Aufstandes“, dem Manifest aus Frankreich, das ich letzte Woche erwähnt habe, halten den Pazifismus übrigens für die Theoretisierung einer Ohmacht. Wurde mit der französischen Revolution die bürgerliche Gesellschaft und unsere heutige Form der Demokratie auf den Weg gebracht, plädieren sie nun für deren umfassende Zerstörung. Die Demokratie sei eine Form der politischen Anästhesie und der Verwaltung von Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten. „Es wird keinen friedlichen Aufstand geben“, schreiben sie. Das klingt fast wie die Devise eines Michael Kohlhaas: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Aber mehr dazu morgen.

PS: Liebe Hausinspektion: Herzlichen Dank für das Kupfer-Felsenbirnen-Marmeladenrezept, ich bin sehr dafür, es auszuprobieren, der Christian Marten-Molnár hat zwar Bedenken wegen der Abgase geäußert (der Baum liegt ja nunmal an einer großen Verkehrsstraße), aber ich denke, die Himbeeren im Rezept gleichen das vielleicht wieder aus. Und wir leben ja nunmal mit Verkehrstraßen und Autos und so. Muss das so sein? Demnächst komme ich jedenfalls mal auf einen Kennenlernkaffee vorbei.